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Mittwoch, 31. Januar 2018 09.00 – 17.30 Uhr In meinem Kalender speichern
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Sexualisierte Kriegsgewalt seit dem Zweiten Weltkrieg

Bedingungen, Folgen und Konsequenzen

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Am 27. Januar 2016, am Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, hielt Ruth Klüger eine Rede im Deutschen Bundestag über ihre Erfahrungen als Zwangsarbeiterin im Außenlager des KZs Großrosen in Niederschlesien. Dabei holte sie ein tief verschüttetes Kapitel weiblicher Zwangsarbeit zurück ins kollektive Gedächtnis – die Zwangsprostitution. Der serienmäßige Missbrauch war als „Belohnungssystem“ für männliche Zwangsarbeiter eingerichtet. „Das“, so fuhr sie fort, „ist nicht eine ‚Arbeit’, die man sich freiwillig aussucht, wie den missbrauchten Frauen nach dem Krieg manchmal zynisch vorgeworfen wurde. Die Prostituierten wurden später auch nicht als Zwangsarbeiter eingestuft, und die Überlebenden hatten keinen Anspruch auf Restitution“.

Die langanhaltende Amnesie betraf nicht nur die Zwangsprostitution in Konzentrationslagern, sie betraf das gesamte Ausmaß und die verschiedensten Formen sexualisierter Gewalt im Zweiten Weltkrieg, ausgeübt von verschiedenen Tätern. In der Folge des Zweiten Weltkrieges wurden Millionen von Frauen auf allen Seiten zum Schweigen über das, was ihnen widerfahren war, verurteilt. Sie erfuhren keine Anerkennung als Kriegsopfer, keinerlei Respekt, keine Unterstützung, geschweige denn eine Entschädigung.

Wahrnehmung, Interpretation und Bewertung sexualisierter Kriegsgewalt hat sich seit 1945, vor allem aber in den letzten 25 Jahren grundlegend geändert. Wurde sie lange Zeit als unvermeidliches Nebenprodukt bewaffneter Auseinandersetzungen verharmlost, gilt sie heute als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Diesen Wandel von Anschauung verdanken wir dem jahrzehntelangen Argumentieren von Feministinnen, Frauengruppen und engagierten Frauen und wenigen Männern in Politik, Kultur, Recht und Medien. Besonders die Auseinandersetzung mit Ausmaß, Mustern und Dynamiken sexualisierter Gewalt im Krieg im ehemaligen Jugoslawien hat eine Flut von Debatten und Analysen über die Funktion von Kriegsvergewaltigungen ausgelöst. Dem jahrzehntelangen gesellschaftlichen Desinteresse steht heute eine unüberschaubare Fülle von Dokumentationen und Forschungen zur sexualisierter Gewalt in vergangenen und aktuellen bewaffneten Konflikten weltweit gegenüber. Dabei wird deutlich, dass sexualisierte Kriegsgewalt nicht isoliert zu betrachten ist. Vielmehr rückt das Kontinuum der Gewalt in den Focus: Kulturell-patriarchale Prädispositionen der Täter ebenso wie die anhaltende sexualisierte Gewalt in Nachkriegszeiten, die in der Regel aus allen politischen Sicherheitskonzepten herausfällt.

Mit dem Kolloquium wollen wir die Frage nach der Verarbeitung von sexualisierter Kriegsgewalt in Nachkriegsgesellschaften in den Fokus rücken. Ob und wie sexualisierte Kriegsgewalt wahrgenommen wird, hat schwerwiegende Konsequenzen für die Übernahme sozialer und politischer Verantwortung der Nachkriegsgesellschaften - im Hinblick auf die rechtliche Ahndung der Taten, auf die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung, auf Maßnahmen zur Prävention in Militär und Gesellschaft und vor allem im Hinblick auf die Anerkennung der Opfer und die Solidarität mit den Überlebenden und damit ihren Bearbeitungsmöglichkeiten.

Wie konnte es geschehen, dass Millionen von Kriegsopfern dermaßen ausgegrenzt wurden? Welche Erzähl- oder Darstellungsmuster waren während und nach dem Zweiten Weltkrieg vorherrschend? Wer bestimmte die Vergewaltigungsnarrative und die mit ihnen einhergehenden Bewertungen? Wie entwickelten sich daraufhin jeweils die Geschlechterbilder? Wie stellen sich Ausmaß, Muster, Dynamiken und Funktionen sexualisierter Gewalt im Zweiten Weltkrieg aus heutiger Sicht und nach dem Stand aktueller Forschung dar?

Mit dem Kolloquium wollen wir der Öffentlichkeit und den politisch Verantwortlichen die unterschiedlichen Dimensionen von sexualisierter Kriegsgewalt vom Zweiten Weltkrieg bis heute und ihre Konsequenzen für Individuum und Gesellschaften ins Gedächtnis rufen, Verknüpfungen zu den unterschiedlichen Arbeitsfeldern herstellen und neue Handlungsoptionen aufzeigen.

Mit:

  • Gabriela Mischkowski, medica mondiale
  • Miriam Gebhardt, Historikerin, Journalistin und Autorin
  • Insa Eschebach, Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück | Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten
  • Ruth Seifert, Ostbayerische Technische Hochschule Regensburg
  • Luise Reddemann, Alpen-Adria-Universität Klagenfurt
  • Rolf Pohl, Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover
  • Franziska Brantner, MdB Bündnis 90/Die Grünen
  • Silke Studzinsky, Rechtsanwältin
  • Monika Hauser, medica mondiale

Moderation: Birte Rodenberg, Soziologin


Hinweis: Die Veranstaltung wird per Livestream übertragen.

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Fachkontakt:
Dr. Marianne Zepp
Heinrich-Böll-Stiftung
Referentin für Zeitgeschichte
E zepp@boell.de

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Heinrich-Böll-Stiftung - Bundesstiftung Berlin
Schumannstr. 8
10117 Berlin
Veranstalter*in
Heinrich-Böll-Stiftung - Bundesstiftung Berlin
Sprache
Deutsch
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