Vortrag

Dienstag, 26. Mai 2015 20.00 – 22.00 Uhr In meinem Kalender speichern

Vortrag

Das neue Unbehagen an der Erinnerungskultur

Reihe: Das Unbehagen in der Kultur im Spätkapitalismus

Unter diesem Titel hat Aleida Assmann einen pointierten Essay, sie nennt es eine Intervention, geschrieben, die sich kritisch mit dem fragmentierten Zustand zeitgenössischer Gedächtnispolitiken befasst. Die Rede von einer Erinnerungskultur verweist immer auf zweierlei: die Akte des Herstellens und die Akte der Aneignung, der Lesarten. Welche Interessen bestimmen die öffentliche Erinnerungskultur? Wie werden ihre Gehalte rezipiert und wie gehen sie in das persönliche Gedächtnis ein? Gibt es hier überhaupt deutliche Zusammenhänge? Assmann rekonstruiert exemplarisch die lange Dauer und das hartnäckige Verweigern, bis es in Westdeutschland Mitte der 1980er Jahre endlich zu öffentlich bedeutsamen Diskursen über den Holocaust kommt. Exemplarisch spricht sie auch die unterschiedlichen Konjunkturen an, in denen die 68er-Bewegungen erinnert werden, oder Filme wie „Unsere Mütter, unsere Väter“, die Erinnerungskultur als Verdrängung zelebrieren. Im Zentrum steht aber ihre Kritik daran, dass die europäischen Erinnerungskulturen bis heute überwiegend innerhalb einer nationalstaatlichen Gedächtnisbildung verbleiben, bis hin zum Gebrauch historischer Erzählungen für Zwecke des Nationalismus. Dagegen macht sie Vorschläge, wie die „gemeinsame Gewaltgeschichte“ Europas im 20. Jahrhundert zum Stoff einer transnationalen Erinnerungskultur werden kann, die nicht zuletzt die Entnationalisierung und Demokratisierung Europas  zu fördern vermag.

Vortrag und Diskussion mit Dr. Wolfgang Lenk

Die Veranstaltung ist kostenfrei.
Eine Anmeldung ist nicht nötig.
Infos im Bildungswerk: Birgit Guth, guth@bildungswerk-boell.de

Die Veranstaltung wird realisiert mit Mitteln der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin.

 

Allgemeine Hinweise zur Reihe: "Das Unbehagen in der Kultur des Spätkapitalismus":

Sigmund Freud analysierte in seinem Klassiker "Das Unbehagen in der Kultur" einen anthropologischen Konflikt zwischen den menschlichen Triebstrukturen und den Verhaltenszumutungen gesellschaftlicher Ordnungen. Sein berühmtes Buch, 1930 erschienen, war auch ein Dokument der genauen Beobachtung seiner Zeit. Im damaligen Europa zeichneten sich deutlich die Gefahren von Krieg, weiteren Diktaturen und autoritär sozialisierten, unterwerfungsbereiten Massen ab.

Aus drei Quellen des Leidens drohen dem menschlichen Lustprinzip durch die jeweilige Kultur (im weiteren Sinne von Zivilisation und Herrschaft) Einschränkungen nach Freud: 1. aus dem eigenen Körper, der von Alterung und Krankheiten geschwächt wird, 2. aus den gesellschaftlichen Machtverhältissen, insbesondere Ökonomie, Politik und Krieg, 3. aus den Beziehungen zu anderen Menschen (im weiteren Sinne von Privatheit und Vergemeinschaftung).

Ohne Frage haben die von Freud theoretisch entwickelten Spannungen zwischen menschlichem Begehren, Selbstbildern und sozialen Ordnungen heute eine veränderte historische Gestalt angenommen - und sie werden in den heutigen philosophischen und humanwissenschaftlichen Diskursen auch mit sehr unterschiedlichen Theorieansätzen beschrieben. Die gegenwärtige kulturelle Symptomatologie des Spätkapitalismus bietet eine Menge Rohstoff für die drei Freudschen Quellen des Unbehagens in unserer Zeit. Machtsysteme und Medienkulturen erzeugen fortlaufend neue Bilder und Konzepte des Körpers, der Gesellschaft und des privaten Lebens.
Die Vortragsreihe geht von Freuds Erkenntnismotiv aus (woher speist sich das Unbehagen in der Kultur?), stellt aber neue Bücher mit klugen und relevanten Analysen der Jetztzeit vor. Sie greift das gewachsene Aufklärungsinteresse, das in der Gesellschaft existiert, auf. So geht es bei der Veranstaltung im Kern um die Vermittlung von solidem Wissen über bedeutende Diagnosen unserer Zeit in der Form von einführenden und verständlichen Vorträgen mit anschließender Diskussion.

Adresse
Bildungswerk Berlin der Heinrich-Böll-Stiftung
Sebastianstr. 21
10179 Berlin
Veranstalter/in
Landesstiftung Berlin (Bildungswerk)
Teilnahmegebühren
kostenfrei