Donnerstag, 12. Juli 2012 18.30 – 20.00 Uhr In meinem Kalender speichern

Gesellschaftlicher Aufbau und fragile Staatlichkeit

Der Transitionsprozess in Afghanistan und die Anforderungen an das Hochschulsystem

Vortrag und anschließende Diskussion mit:
Prof. Dr. Michael Daxner, Afghanistanexperte, Berlin
Barbara Unmüßig, Vorstand, Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin

Bis Ende 2014 sollen alle ISAF-Truppen aus Afghanistan abgezogen werden. Damit verbunden ist die komplette Übergabe der Sicherheitsverantwortung an das afghanische Militär und die Polizei. Die deutsche Afghanistandebatte wird daher oft von möglichen Sicherheitsszenarien und -strategien für die Zeit nach 2014 beherrscht. Die zentrale Bedeutung des zivilen Aufbaus wird zu wenig beachtet.

Dabei scheint sicher, dass Afghanistan nach dem Truppenabzug und bis zum Wiederaufbau eines stabilen Staates sowie einer funktionierenden, zivilen Gesellschaft vor allem mehr und qualitativ höherwertigere Angebote im Bereich Bildung benötigt. Im Vordergrund steht vor allem die Hochschulausbildung, damit in Zukunft genügend gutausgebildete Lehrerinnen und Lehrer für den massiv gewachsenen Schulsektor zur Verfügung stehen.
Es geht dabei um gewaltige Größenordnungen. Die Warteliste für Hochschulbewerber/innen führt schon heute 160.000 Personen. Diese Zahl wird bis 2014 auf 500.000 anwachsen. Die jährliche Aufnahmekapazität der Hochschulen beträgt derzeit allerdings nur 40.000 Student/innen. Hinzu kommt, dass die Ausstattung der Schulen und Universitäten oft schlecht ist und es keinen stringenten Lehrplan oder feste Prüfungen gibt.

Eine potentielle, daraus resultierende Gefahr ist eine steigende Hoffnungslosigkeit unter Jugendlichen, die nur schwer einen Platz in der Gesellschaft finden und oft keine Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Ein zusätzliches Problem ist, dass sich der Übergang nach dem Studium von einer Hochschule in eine professionelle Tätigkeit für viele oft schwierig gestaltet. Das hängt auch mit der zunehmenden Pluralisierung der Bevölkerung, der Entstehung eines neuen Mittelstandes und den politischen Rahmenbedingungen für die soziale Statuszuweisung zusammen.

Angaben zu Michael Daxner:
Michael Daxner, 1947 in Wien geboren, studierte Pädagogik, Anglistik, Sozialwissenschaften, Geschichte und Philosophie in Wien und Freiburg. Nach Forschungsaufenthalten in den USA Anfang der achtziger Jahre wechselte Michael Daxner 1986 an die Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg, deren Präsident er bis 1998 war. Ab 1998 bis zu seiner Emeritierung 2011 hatte Daxner dort die Professur für Soziologie und Jüdische Studien innen. Ab 2000 war Daxner international für UNMIK (Kosovo) und in Afghanistan ab 2003 tätig, mit Schwerpunkten in der Bildungspolitik, Konfliktforschung und Interventionsanalyse. Seit 2010 leitet er das Teilprojekt „Sicherheit und Entwicklung“ am Sonderforschungsbereich 700 der Freien Universität Berlin und weitere Projekte im Bereich der Konflikt- und Friedensforschung.