Dienstag, 05. Dezember 2006 19.30 – 21.30 Uhr In meinem Kalender speichern

Jour Fixe: Wie weit geht die Erneuerung? - Lateinamerika nach dem Wahlmarathon

Öffentliche Podiumsdiskussion

Lateinamerika ist in Bewegung geraten, die politische Landkarte des Kontinents hat sich nachhaltig verändert. Der Wahlmarathon der letzten Monate in 10 Ländern wurde gewählt hat vor allem eines verdeutlicht: Die Bevölkerung vieler Länder akzeptiert nicht länger eine Politik, die die brennenden sozialen Fragen vernachlässigt. Ob allerdings angesichts der neuen oder wiedergewählten Regierungen in Brasilien, Argentinien, Uruguay, Chile, Bolivien, Nicaragua und voraussichtlich Venezuela gleich ein Linksruck konstatiert werden kann, ist zumindest umstritten: Die politischen Orientierungen und Programmatiken der einzelnen Präsidenten und ihrer Parteien sind sehr unterschiedlich. Auf alle Fälle lässt sich jedoch eine grundlegende politische Neuorientierung quer über den ganzen Kontinent hinweg erkennen. Zugleich dokumentieren wiederkehrende Pattsituationen in den Wahlergebnissen eine zunehmende Polarisierung der Gesellschaft als aktuellstes Beispiel ist Mexiko zu nennen. Die politischen Veränderungen wirken sich auch auf die regionalen Integrationsprojekte aus.

Das insbesondere von den USA initiierte Vorhaben eines gesamtamerikanischen Freihandelsabkommens ist vorläufig gescheitert. Stattdessen haben lateinamerikanische

Integrationsprojekte neue Dynamiken erfahren, wie z.B. der Mercosur, dem Venezuela seit Anfang Juli als Vollmitglied beigetreten ist. Der Andenpakt CAN wurde durch den Austritt Venezuelas faktisch aufgelöst, während Venezuela gleichzeitig unter dem Namen ALBA ein neues Bündnis (z.Zt. Venezuela, Cuba, Bolivien) ins Leben gerufen hat.Bei diesen regionalen Integrationsprojekten stehen nicht nur Interessen an Absatzmärkten im Zentrum der Überlegungen, sondern insbesondere strategische Energie- und Rohstofffragen. In diesem Zusammenhang werden zahlreiche neue Infrastruktur-Megaprojekte geplant, von Großstaudämmen, Atomkraftwerken bis hin zu einer Gaspipeline von Venezuela bis Argentinien. Allerdings treten Länder wie China und Indien zunehmend auch in Lateinamerika unmittelbar als Nachfrager von Rohstoffen und Investor bei größeren Erschließungs- und Infrastrukturprogrammen auf. So sprudeln zwar einerseits die Einnahmen aus dem Geschäft mit dem Öl und anderen Rohstoffen, andererseits wirken sich zugleich die weltweit steigenden Preise für diese Güter auch auf die örtlichen Ökonomien aus eine zukunftsorientierte, auf nachhaltige Technologien setzende und damit Unabhängigkeit fördernde Energiepolitik beispielsweise ist nirgends auch nur ansatzweise zu erkennen.

Wo liegen die Grenzen dieses Entwicklungsmodells? Haben die neuen Sozialpolitiken und die regionale Neuorientierung unter diesen Bedingungen eine langfristige Perspektive? Wie wirken sich die politischen Veränderungsprozesse auf die demokratischen Institutionen, auf die Beteiligungs-möglichkeiten für die Bevölkerung aus? Zeichnen sich neue Möglichkeiten für zivilgesellschaftliches politisches Engagement und Lobbyarbeit ab, sind neue Partizipations-strukturen entstanden oder erkennbar? Sind mehr Frauen in der Politik vertreten? Wie sind Genderthemen in die neuen Regierungsvorhaben integriert?

Unsere Gäste:

Guacira César de Oliveira
, Feministisches Zentrum für Studien und Beratung (CFEMEA), Brasilien
Barbara Fritz
, Freie Universität Berlin
Claudia Zilla, Stiftung Wissenschaft und Politik

Moderation:
Bernd Pickert, die tageszeitung