Podiumsdiskussion
- Dienstag, 08. April 2014 20.00 – 22.00 Uhr In meinem Kalender speichern
Scheitert die europäische Utopie? Wolfgang Streecks Buch "Gekaufte Zeit" über die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus
Reihe: Das Unbehagen in der Kultur im Spätkapitalismus XI
Die Europawahlen stehen bevor und die Visionen von einem geeinten und demokratischen Europa sind in hellster Krise. Kapitalismus und Demokratie - schon immer ein zerstrittenes, widersprüchliches Paar – sind in ganz neuer Weise in einen scharfen Gegensatz geraten. Wirtschaftsliberalismus und die politische Technokratie der EU-Troika unterminieren die Souveränität sowohl der Staaten wie der Zivilgesellschaften. Der Vortrag gibt eine verständliche Einführung in die brillante Krisendiagnose von Wolfgang Streeck ("Gekaufte Zeit"), die aus seinen Frankfurter Adorno-Vorlesungen hervorgegangen ist. Streeck sieht einen Kapitalismus ohne Demokratie entstehen und arbeitet dies in einer polit-ökonomischen Gesellschaftsgeschichte seit den 1970er Jahren heraus. Er zeigt, das die Analyse, die Jürgen Habermas 1973 unter dem Titel „Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus“ an einem strukturellen ökonomischen Defizit leidet, das aber aufgehoben werden muss, will man die Genese der neoliberalen Ideologie und politischen Praxis in den EU-Mitgliedsstaaten begreifen.
Streeck arbeitet dann die politischen Konstellationen und Strategien heraus, in denen der Neoliberalismus auf Betreiben der Eliten zunehmend das politische Handeln bestimmt hat, zunächst in Chile und in Großbritannien. Seine Analyse kulminiert in der Kritik der Euro-Einführung, mit der die Chance der korrigierenden Abwertung von Währungen durch einzelne Nationen innerhalb des Euroraums unmöglich wurde. Hierin sieht Streeck den zentralen Punkt, an dem sich der Verlust wirtschaftspolitischer Souveränität mit der Krise der Demokratie verbindet. Streecks politischen Empfehlungen indes sind heiss umstritten. In der Öffentlichkeit bezieht Jürgen Habermas prominent Gegenposition. Wir lernen die Kernpunkte der Debatte kennen.
Vortrag und Diskussion mit Dr. Wolfgang Lenk
Die Veranstaltung ist kostenfrei.
Eine Anmeldung ist nicht nötig.
Infos im Bildungswerk: Birgit Guth, guth@bildungswerk-boell.de
Die Veranstaltung wird realisiert mit Mitteln der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin.
Allgemeine Hinweise zur Reihe: "Das Unbehagen in der Kultur des Spätkapitalismus":
Sigmund Freud analysierte in seinem Klassiker "Das Unbehagen in der Kultur" einen anthropologischen Konflikt zwischen den menschlichen Triebstrukturen und den Verhaltenszumutungen gesellschaftlicher Ordnungen. Sein berühmtes Buch, 1930 erschienen, war auch ein Dokument der genauen Beobachtung seiner Zeit. Im damaligen Europa zeichneten sich deutlich die Gefahren von Krieg, weiteren Diktaturen und autoritär sozialisierten, unterwerfungsbereiten Massen ab.
Aus drei Quellen des Leidens drohen dem menschlichen Lustprinzip durch die jeweilige Kultur (im weiteren Sinne von Zivilisation und Herrschaft) Einschränkungen nach Freud: 1. aus dem eigenen Körper, der von Alterung und Krankheiten geschwächt wird, 2. aus den gesellschaftlichen Machtverhältissen, insbesondere Ökonomie, Politik und Krieg, 3. aus den Beziehungen zu anderen Menschen (im weiteren Sinne von Privatheit und Vergemeinschaftung).
Ohne Frage haben die von Freud theoretisch entwickelten Spannungen zwischen menschlichem Begehren, Selbstbildern und sozialen Ordnungen heute eine veränderte historische Gestalt angenommen - und sie werden in den heutigen philosophischen und humanwissenschaftlichen Diskursen auch mit sehr unterschiedlichen Theorieansätzen beschrieben. Die gegenwärtige kulturelle Symptomatologie des Spätkapitalismus bietet eine Menge Rohstoff für die drei Freudschen Quellen des Unbehagens in unserer Zeit. Machtsysteme und Medienkulturen erzeugen fortlaufend neue Bilder und Konzepte des Körpers, der Gesellschaft und des privaten Lebens.
Die Vortragsreihe geht von Freuds Erkenntnismotiv aus (woher speist sich das Unbehagen in der Kultur?), stellt aber neue Bücher mit klugen und relevanten Analysen der Jetztzeit vor. Sie greift das gewachsene Aufklärungsinteresse, das in der Gesellschaft existiert, auf. So geht es bei der Veranstaltung im Kern um die Vermittlung von solidem Wissen über bedeutende Diagnosen unserer Zeit in der Form von einführenden und verständlichen Vorträgen mit anschließender Diskussion.
- Veranstalter*in
- Landesstiftung Berlin (Bildungswerk)
- Teilnahmegebühren
- kostenfrei