Donnerstag, 17. November 2011 19.00 – 22.00 Uhr In meinem Kalender speichern

Sexualisierte Gewalt als Kriegsverbrechen

Politische und juristische Aufarbeitung in Bosnien-Herzegowina

Hintergrund

Im Jahr 2001 fällte der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) in Den Haag im Rahmen des - nach einem Tatort in Bosnien-Herzegowina benannten (BuH) – Foca-Falls ein historisches Urteil. Erstmals wurden Vergewaltigungen im Zusammenhang mit kriegerischen Aktionen als schwerer Verstoß gegen die Genfer Konventionen verurteilt und als Verbrechen gegen die Menschheit eingestuft. Mit der Verabschiedung der Resolution 1820 durch den UN-Sicherheitsrat im Jahr 2008 wurde sexualisierte Gewalt in bewaffneten Konflikten dann eindeutig als völkerrechtlicher Straftatbestand festgeschrieben.
 
Die Situation der Frauen in BuH, die zu Opfern von Vergewaltigungen wurden, ist auch 15 Jahre nach Unterzeichnung des Daytoner Friedensvertrages prekär. Vielen von ihnen wird die Möglichkeit, für ihre Leiden wenigstens juristisch kompensiert zu werden, verweigert. Von den bis zu 50.000 während des Krieges begangenen Vergewaltigungen wurden bislang gerade 12 gerichtlich geahndet.

Zu den Probleme im Alltag der Betroffenen zählen: die unzureichende Gesundheitsfürsorge, insbesondere bei psychischen Erkrankungen; die unzureichende juristische Betreuung der Opfer und der Zeugen während der Gerichtsverfahren, insbesondere an den Kantons- und Kreisgerichten sowie bei den Staatsanwaltschaften; die fehlende psychologische Betreuung vor, während und nach den Zeugenaussagen. So berichtete ein Vergewaltigungsopfer, nachdem sie ihre Zeugenaussage abgegeben hatte: „(…) Das Gefühl, als wärst du ein Lappen, buchstäblich, ein Putzlappen, mit dem jemand den Staub abgewischt und den Lappen dann weggeworfen hat (…).“

Zahlreiche Frauen leben mit ihren Kriegstraumata, und viele hatten bisher nicht die Möglichkeit, das Erlebte aufzuarbeiten, vor allem nicht die Frauen aus ländlichen Gebieten. Überlebende, die in ihre Heimatorte zurückgekehrt sind, werden zusätzlich dadurch traumatisiert, dass sie die Täter frei und unbehelligt auf der Straße treffen, diese sogar öffentliche Ämter bekleiden. Oft sind die Mitarbeiter/innen der Sozialämter unzureichend informiert, und die Frauen müssen von Tür zu Tür gehen auf der Suche nach genauen Anweisungen, wie sie ihr Recht einfordern können.

Hinzu kommt das unsensible Verhalten der (Sozial-) Arbeiter/innen, mit denen die Frauen in Berührung kommen. Viele sehen deswegen von ihren Rechtsansprüchen ab: „Ach, du bist die Vergewaltigte“ oder „Ich arbeite mit den Vergewaltigten“ sind nur einige Sätze, mit denen die Frauen konfrontiert werden. Kommissionsmitglieder, die etwa die Einstufung der Invalidität begutachten sollten, sagten den Frauen in der letzten Einstufungsphase: „(…) Du bist doch bloß vergewaltigt worden, dir fehlt ja kein Arm oder Bein, man sieht gar nichts“ oder „(…) Du bist wie Stahl, sieh doch nur, was für rote Bäckchen du hast (…)“.

Das Beispiel Bosnien-Herzegowinas wirft ein Licht auf die Möglichkeiten und Grenzen der Arbeit des ICTY. Welche politischen Erfolge konnten erreicht werden, um die gesetzlichen Rahmenbedingungen etwa für Opferentschädigung zu verbessern? Und welche Kämpfe fechten Betroffene und ihre Interessenvertreter/innen derzeit aus?

Wir möchten erfahren, wie unsere Gäste die heutige Situation der Frauen bewerten und wo aus ihrer Sicht Aktionen erforderlich sind - national und auch international. Welche Forderungen stellen sie an die Politik, welche Lehren müssen aus dem Bosnien-Krieg gezogen werden, was hat sich durch die Arbeit des ICTY und die UN-Resolution 1820 verändert, und wo sehen sie weiteren Handlungsbedarf?