Diskussionsabend
- Dienstag, 11. November 2014 20.00 – 22.00 Uhr In meinem Kalender speichern
"Wie uns die Arbeitslosigkeit unter die Haut geht"
Reihe "Das Unbehagen in der Kultur des Spätkapitalismus
Erstaunlich: Das Manifest der "Glücklichen Arbeitslosen" scheint heute, nach einem Jahrzehnt, fast vergessen. Gerichtet gegen die zeitgenössischen Formen der protestantischen Arbeitsethik, verteidigte das Manifest Lebensformen, die sich der Unterwerfung unter entfremdete Arbeit verweigern, ohne die Maske des verzweifelten, unter seiner Ausgegrenzung leidenenden Erwerbslosen aufsetzen zu müssen.
Aber: Gibt es überhaupt glückliche Arbeitslose? Die Studie "Wie uns die Arbeitslosigkeit unter die Haut geht" von Benedikt Rogge ist die vielleicht bedeutendste Untersuchung zu den individuellen Umgangsweisen mit der Erfahrung von Erwerbslosigkeit in Deutschland. Unter den Stichworten "Umstellung des Selbst", "Befreiung des Selbst", "Kampf um das Selbst", "Verfall des Selbst" und "Transformation des Selbst" findet er fünf verschiedene Grundformen für die persönlichen Reaktionen auf ein Leben ohne Erwerbsarbeit.
Die Studie wird vorgestellt und unter der Fragestellung diskutiert, was ihre Ergebnisse für eine zeitgemäße emanzipatorische Politik der Arbeit, der Arbeitszeit und der "Befreiung von Arbeit" bedeuten könnten. Denn in den letzten 10 Jahren haben Zeitarbeit, befristete und Teilzeitbeschäftigungen sowie Stress und psychischen Belastung massiv zugenommen.
Vortrag und Diskussion mit Dr. Wolfgang Lenk
Die Veranstaltung ist kostenfrei.
Eine Anmeldung ist nicht nötig.
Infos im Bildungswerk: Birgit Guth, guth@bildungswerk-boell.de
Die Veranstaltung wird realisiert mit Mitteln der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin.
Was will die Reihe "Das Unbehagen in der Kultur des Spätkapitalismus"?
Sigmund Freud führte das Unbehagen in der Kultur auf einen anthropologischen Konflikt zwischen den menschlichen Triebstrukturen und den Verhaltenszumutungen sozialer Ordnungen zurück. Doch sein berühmtes Buch, das 1930 erschien, war auch ein Dokument der genauen Beobachtung seiner Zeit. Im damaligen Europa zeichneten sich bereits deutlich die Gefahren von Krieg, weiteren Diktaturen und folgebereiten, nach Autorität und Unterwerfung dürstenden Massen ab. Ist unsere heutige Situation davon gänzlich oder zum Teil unterschieden? Und wenn ja: wie?
Freud hat drei Quellen des Leidens unterschieden, aus denen dem menschlichen Lustprinzip durch die jeweilige Kultur (im weiteren Sinne von Zivilisation und Herrschaft) Einschränkungen drohen: 1. der eigene Körper, der von Alterung und Krankheiten geschwächt wird, 2. die „Außenwelt“ der Gesellschaftsordnung, einschließlich Ökonomie, Politik und Krieg, 3. die Beziehungen zu anderen Menschen (im weiteren Sinne von Privatheit und Vergemeinschaftung). Freud begreift die Krise einer „Kultur“ als historische Konstellation, in der die Sublimierungen, von der jede Kultur lebt, nicht ausreichend reproduziert werden. Feindbilder und Aggressionen werden dann manifest.
Sicher haben die von Freud theoretisch entwickelten Spannungen zwischen menschlichem Begehren, Selbstbildern und sozialen Ordnungen heute eine veränderte historische Gestalt angenommen - und sie werden im Rahmen des philosophischen und humanwissenschaftlichen Diskurses inzwischen auch mit sehr unterschiedlichen – ja konkurrierenden - Theoriekonzepten beschrieben.
Die Vortragsreihe geht zwar von Freuds Erkenntnismotiv aus (woher speist sich das Unbehagen in der Kultur?), wendet sich aber klugen und wichtigen Positionen im gegenwärtigen Diskurs zu, und greift das gewachsene Aufklärungsinteresse auf, das in der Gesellschaft existiert.
So geht es bei der Veranstaltung im Kern um die Vermittlung von solidem Wissen zu relevanten Diagnosen unserer Zeit in der Form von einführenden Vorträgen mit anschließender Diskussion.
Dabei geht es nicht vorrangig um das ökonomisch Offensichtliche, sondern um das kulturdiagnostisch weniger Deutliche: Strukturen und Lebenswelten unserer „Kultur“, die u.a. mit sozial geprägten Emotionen, demokratischen Werten, ausdifferenzierten Lebensformen verknüpft sind.
Die gegenwärtige kulturelle Symptomatologie des Spätkapitalismus bietet eine Menge Rohstoff für die drei Freudschen Quellen des Unbehagens und deren öffentlicher Diskursivierung in unserer Zeit. Medienkulturen erzeugen täglich neue Bilder und Konzepte des Körpers, der Gesellschaft und unserer Lebensformen.
- Adresse
-
Bildungswerk Berlin der Heinrich-Böll-Stiftung
Olivaer Platz 16
10707 Berlin
- Veranstalter*in
- Landesstiftung Berlin (Bildungswerk)
- Teilnahmegebühren
- kostenfrei