Veranstaltung
- Dienstag, 21. Januar 2025 18.00 – 19.30 Uhr In meinem Kalender speichern
Die langen Schatten von Diktatur und Autoritarismus
Aufarbeitung und Erinnerungskultur in Brasilien und Deutschland
Deutschland und Brasilien haben in ihrer Geschichte unterschiedliche Formen diktatorisch-autoritärer Regime erlebt. Auch deren juristische wie gesellschaftspolitische Aufarbeitung unterscheidet sich in beiden Ländern. Was jedoch hier wie dort gilt: Trotz des jahrzehntelangen Einsatzes, handlungsorientierende Erinnerungskulturen zu etablieren, fehlt der Konsens beim Blick auf die diktatorische Vergangenheit. In Deutschland gilt das in Bezug auf die NS-Diktatur (1933-1945), in Brasilien mit Blick auf den Militärputsch von 1964 und die sich anschließende, bis 1985 andauernde Militärdiktatur. Mehr noch: In beiden Ländern droht die Erosion einer gesamtgesellschaftlich verbindenden Erinnerungskultur an Diktatur und Menschenrechtsverletzungen. Diese als Grundlage einer menschenrechtsorientierten und demokratisch verfassten Gesellschaft zu erkämpfen, bleibt eine enorm wichtige Aufgabe.
In Brasilien war die Überwindung der Militärdiktatur und die Demokratisierung ein langer Prozess. Obgleich es drei Kommissionen zur historischen Aufarbeitung gab, fehlt bis heute die juristische Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen während der Militärdiktatur. Die Erinnerung an die Militärdiktatur in Brasilien bleibt bis heute äußerst widersprüchlich. Für die Militärs bedeutet der Putsch von 1964 eine „Revolution“, die Brasilien vor dem Kommunismus retten sollte. Eine juristische Aufarbeitung fand auch nach 1985 nicht durch die zivilen Regierungen statt. Sie achteten darauf, die Militärs nicht durch eine andere Auslegung des Putsches zu provozieren und erwarteten im Gegenzug von den Militärs, dass diese die demokratischen Institutionen respektieren. Der Wahlsieg von Jair Bolsonaro im Jahr 2018 zeigte jedoch, dass diese Arrangements überaus brüchig waren. Bolsonaro integrierte Militärs in seine Regierung, die sich offen antidemokratisch und rechtsradikal zeigten. In 2024 wurde bekannt, dass führende Militärs nach dem Wahlsieg des aktuellen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva im Oktober 2022 bereit waren, zu putschen. Brasilien entging nur knapp einem erneuten Militärputsch.
Anders sah der Umgang mit der Vergangenheit in Deutschland aus: In den vergangenen 70 Jahren entstanden Gedenkstätten und Museen zur Erinnerung und historischen Aufarbeitung der NS-Zeit und des Holocaust. Wissenschaftliche Begleitung der Aufarbeitungsprozesse ermöglichte über Jahrzehnte veränderte Perspektiven, etwa auf Reparationszahlungen und Zeitzeug*innengespräche.
Derzeit aber droht sowohl in Deutschland als auch in Brasilien eine grundsätzliche Umschreibung der geschichtlichen Erinnerung und eine Verklärung der diktatorischen Vergangenheit durch rechte und rechtsradikale Akteure. In Deutschland häufen sich seit einiger Zeit rechtsradikale Angriffe auf Gedenkstätten. Die rechtspopulistische AfD, unter deren Vertretern einige offen NS-Verherrlichung betreiben und geschichtsrevisionistische Aussagen tätigen, gewann bei den letzten Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg fast ein Drittel der Stimmen. In den aktuellen Umfragen vor der im Februar stattfindenden Bundestagswahl liegt die Partei, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft ist, bei knapp 20 Prozent. In Brasilien konnte die Wiederwahl des ehemaligen Präsidenten Jair Bolsonaro, der die Diktatur verherrlicht, 2022 nur knapp verhindert werden. Der „Bolsonarismo“ und sein Gedankengut bleiben jedoch fester Bestandteil im brasilianischen gesellschaftlich-politischem Spektrum."
Über diese Entwicklungen in beiden Ländern möchten wir gemeinsam mit Janaina Teles und Paula Santana diskutieren. Die Begrüßung erfolgt durch Thomas Fatheuer.
Dabei soll es unter anderem um folgende Fragen gehen:
- Welche Bedeutung hat die Erinnerung für aktuelle politische Auseinandersetzungen?
- Welche Rolle spielen Orte der Erinnerung für die Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen, wie wurden dabei Opfer eingebunden?
- Wie kann die Erinnerung aktuell gehalten werden, wenn immer mehr Zeitzeug*innen von uns gehen?
- Wie können Orte der Erinnerung dazu beitragen, der Verherrlichung von Diktaturen entgegen zu wirken?
- Was können Brasilien und Deutschland jeweils voneinander lernen für die Erinnerungsarbeit und Aufarbeitung schwerer Menschenrechtsverletzungen?
Kurzprofile:
Janaina Teles ist Historikerin aus Brasilien und Professorin für brasilianische Geschichte an der Universidade do Estado de Minas Gerais (UEMG). Sie und ihre Familie spielen eine wichtige Rolle in der Aufarbeitung der brasilianischen Militärdiktatur. Ihre Eltern kämpften im Untergrund, wurden verhaftet und gefoltert. Die Schwester ihrer Mutter, Crimeia Schmidt de Almeida, kämpfte in der Guerillabewegung von Araguaia. Sie selbst wurde im Alter von fünf Jahren in ein Militärgefängnis verschleppt und musste dort ihre gefolterten Eltern ansehen. Die Familie Teles ging gegen ihren Folterer Carlos Ustra vor Gericht und gewann mit der Begründung, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht verjähren. Seitdem dürfen sie ihn einen Folterer nennen.
Paula Santana ist pädagogische Mitarbeiterin der Gedenkstätte Sachsenhausen und studierte Holocaust Studien, internationale Beziehungen sowie Lateinamerikastudien in Berlin und Bogotá, Kolumbien. Sie beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Erinnerungskultur, NS-Geschichte, Lateinamerikaforschung und Gender-Studien.
Dr. Thomas Fatheuer ist Sozialwissenschaftler, Vorstandsmitglied von Kobra und Mitarbeitender des FDCL.
Moderation: Mareike Bödefeld, Referentin im Lateinamerika Referat. Studierte Regionalstudien Lateinamerika (B.A.) an der Universität zu Köln und Universidad de Antioquia in Medellín, Kolumbien sowie Friedens- und Konfliktforschung (M.A.) an der Philipps-Universität Marburg. Sie hat Zusatzqualifikationen als Internationale Prozessbeobachterin des Forschungs- und Dokumentationszentrums Kriegsverbrecherprozesse, verschiedene absolvierte Kurse im Themenbereich Vergangenheitsaufarbeitung, Konflikttransformation und Mediation und befasste sich in ihrer Masterarbeit mit der Aufarbeitung der Militärdiktatur in Brasilien.
Zeit: 21. Januar 2025, 18:00-19:30 Uhr (MEZ), mit anschließendem kleinen Empfang
Veranstaltet von: Heinrich-Böll-Stiftung in Kooperation mit Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika (FDCL), Kooperation Brasilien e.V. (KoBra) mit Unterstützung der Rosa-Luxemburg-Stiftung
Kontakt:
Mareike Bödefeld
E boedefeld@boell.de
» Teilnahme vor Ort
im Konferenzzentrum der Heinrich-Böll-Stiftung, Schumannstr. 8, 10117 Berlin
Bitte melden Sie sich an. Die Anzahl der Plätze ist leider begrenzt. Sollte die Raumkapazität erschöpft sein, übertragen wir die Konferenz per Video in andere Räume. Wir weisen darauf hin, dass kein Anspruch auf einen Platz im Saal besteht.
» Livestream
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- Zeitzone
- MEZ
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Heinrich-Böll-Stiftung - Bundesstiftung Berlin
Schumannstr. 8
10117 Berlin
- Veranstalter*in
- Heinrich-Böll-Stiftung - Bundesstiftung Berlin
- Sprache
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